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ConradyUlrich Conrady
Rechtsanwalt
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Ausschlussfristen mit „beidseitiger Beißhemmung“

Arbeitsrecht - 18.10.2021

Ausschlussfristen (auch Ausschlussklauseln oder Verfallklauseln genannt) spielen im Arbeitsrecht eine wichtige Rolle. Sie zwingen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ihre wechselseitigen Ansprüche sehr schnell nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen. Hierdurch entsteht Planungssicherheit weit vor einer erst nach Jahren eintretenden Verjährung. Ausschlussfristen finden sich in (nahezu) jedem Tarifvertrag und in (nahezu) jedem Arbeitsvertrag.

Diese Planungssicherheit setzt jedoch voraus, dass die Ausschlussfrist wirksam ist.

Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen unterliegen der strengen Kontrolle für alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Kontrolle). Die Arbeitsgerichte prüfen hierbei, ob die Ausschlussfrist klar und verständlich formuliert oder aber geeignet ist, den Arbeitnehmer „in die Irre zu leiten“ und von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abzuhalten.

In jüngerer Zeit prüfen die Gerichte verstärkt, ob die Klauseln nicht unzulässig besonders geschützte, zwingende Rechte erfassen bzw. erfassen sollen, wie z. B. den gesetzlichen Mindestlohn, Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen.

Zu diesen zwingenden Rechten gehören auch alle Schadensersatzansprüche, die durch vorsätzliches (Fehl-) verhalten entstehen (Vorsatzhaftung); die Vorsatzhaftung kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen (§ 276 Abs. 3 BGB) und die Verjährung solcher Schadensersatzansprüche nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden (§ 202 Abs. 1 BGB). Die Geltung von Ausschlussfristen ist bzw. wäre eine solche (unzulässige) Erleichterung der Verjährung.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat aktuell in Bezug auf diese Vorsatzhaftung eine umfassende Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle der Ausschlussfristen vollzogen. 

Keine einschränkende, „geltungserhaltende Auslegung“: 
Das BAG nimmt die Ausschlussfristen - anders als bisher - „beim Wortlaut“; werden dort wie sehr häufig „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ oder „alle wechselseitigen Ansprüche“ genannt, wird damit auch die Haftung wegen Vorsatzes (unzulässig) erfasst (BAG, Urteile vom 26.11.2020, 
8 AZR 58/20 und vom 25.02.2021, 8 AZR 171/19). Bisher hatte das BAG eine einschränkende und damit die Geltung der Ausschlussfristenregelung erhaltende Auslegung dahingehend vorgenommen, dass die Arbeitsvertragsparteien die Vorsatzhaftung als einen atypischen Fall gar nicht mit regeln wollten.

Eindeutige Herausnahme der Vorsatzhaftung:
Die Vorsatzhaftung muss eindeutig von der Ausschlussfrist ausgenommen werden; nicht ausreichend ist die bloße Ausnahme deliktischer Ansprüche, weil es auch nicht-deliktische Vorsatzhaftung gibt (BAG, Urteil vom 09.03.2021 (9 AZR 323/20).

Vollständige Unwirksamkeit:
Die für die Praxis größte Bedeutung der jüngsten Rechtssprechungsänderung liegt darin, dass die Ausschlussklausel, bei der die Vorsatzhaftung nicht eindeutig ausgenommen worden ist, vollständig unwirksam ist. Damit kann sich also auch der Arbeitgeber auf die Unwirksamkeit der Klausel berufen. Bisher hatte das BAG bei der Unwirksamkeit von Ausschlussfristen aufgrund anderer gesetzlicher Regelungen (z. B. bei Intransparenz oder unangemessener Benachteiligung; §§ 306, 307 BGB) angenommen, dass sich nur der Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der Ausschlussklausel berufen kann, der Arbeitgeber als Verwender/ Klausel-Urheber hingegen nicht (personale Teilunwirksamkeit).

Die neue Rechtsprechung des BAG führt dazu, dass die meisten älteren einzelvertraglichen Ausschlussfristen unwirksam sind, sich jedoch auch der Arbeitgeber auf deren Unwirksamkeit berufen kann; es handelt sich um Ausschlussfristen mit „beidseitiger Beißhemmung“.