Christian Ballasch
Rechtsanwalt
Fachanwalt für
Verkehrsrecht
Telefon: +49 (0) 531 28 20-552
Telefax: +49 (0) 531 28 20-555
ballaschappelhagen.de
Das OLG Celle hat gerade wieder über einen Unfall mit Beteiligung eines Kindes entschieden (OLG Celle, Urteil vom 19.05.2021 - 14 U 129/20). Leider sind solche Unfälle nicht selten.
Ein elfjähriges Mädchen überquerte innerorts bei Dunkelheit eine Straße. Sie war das letzte von vier Kindern. Ein Auto fuhr das Mädchen an. Das Kind hatte das Fahrzeug zwar wahrgenommen, hatte aber die Entfernung und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs falsch eingeschätzt. Sie lief den vorangegangenen Kindern hinterher. Das Fahrzeug fuhr schneller als die erlaubten 50 km/h.
In erster Instanz hatte das Landgericht die Ansprüche des Mädchens noch gekürzt. Es hatte ein Mitverschulden des Kindes gesehen.
Das OLG hat dem Kind den vollen Schadensersatz zugesprochen. Das OLG hat dies mit dem Alter des Kindes begründet:
Diese Gesamtsituation begründet nach der Ansicht des Senats kein Verschulden der Klägerin. Die Klägerin hat sich in einer Gruppe von Kindern bewegt und hat …zwar das Fahrzeug herannahen sehen, zu diesem Zeitpunkt befand sie sich aber bereits mit den drei vorausgehenden Kindern auf der Fahrbahn, mit denen sie als Gruppe zur Schule gehen wollte. Die hierdurch zwangsläufig entstandene Gruppendynamik, nicht als einziges Kind aus der Gruppe zurückzubleiben, muss bei der Bewertung der Gesamtsituation ebenso berücksichtigt werden, wie die Schwierigkeit, in der Dunkelheit die Entfernung und Geschwindigkeit eines Fahrzeugs richtig zu schätzen.
Denn gerade bei Gruppenbildung minderjähriger Verkehrsteilnehmer ist bei den einzelnen Kindern mit Abgelenktheit und Unachtsamkeit zu rechnen. Dass ein Kind, ohne auf bevorrechtigten Verkehr zu achten, hinter einem anderen Kind die Straße überquert, ist ein geradezu typischer Vorgang.
Leider behandeln Gerichte Kinder bei Haftungsfragen immer wieder genauso wie Erwachsene.
Der Gesetzgeber sieht aber gerade vor, dass bei Kindern andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Es kommt dabei auf das Alter und die konkrete Unfallsituation an. Kinder haften bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres nach § 828 Abs. 2 S. 1 BGB bei Verkehrsunfällen grundsätzlich überhaupt nicht. Je näher das Kind an dieser Altersgrenze „dran“ ist und je komplexer die Verkehrssituation, desto unwahrscheinlicher ist eine (Mit-) Haftung des Kindes. Daher sollten Mithaftungseinwände von Versicherern gegenüber Kindern stets sorgfältig geprüft werden.