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StaatsSebastian Staats
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Dauerbrenner: Auslegung unklarer oder lückenhafter Leistungsbeschreibungen

Vergaberecht - 17.01.2022

Bieter in öffentlichen Vergabeverfahren geben Angebote häufig auf der Grundlage unklarer oder lückenhafter Leistungsbeschreibungen ab. Nach Zuschlagserteilung entsteht dadurch regelmäßig Streit der Vertragspartner darüber, welche Leistungen mit den vereinbarten Preisen abgegolten sind und ob dem Unternehmer ein zusätzlicher Werklohnanspruch zusteht. 

Für die Frage, welche Leistungen mit den vereinbarten Preisen abgegolten werden, ist der Vertrag auszulegen. Dabei ist das gesamte Vertragswerk zugrunde zu legen. Maßgeblich ist dabei, wie ein branchenkundiger und mit der ausgeschriebenen Leistung durchschnittlich vertrauter Unternehmer, der über das für die Angebotsabgabe notwendige Fachwissen verfügt und die Leistungsbeschreibung sorgfältig liest, die Leistungsbeschreibung verstehen kann (OLG Frankfurt, Beschl. v. 05.11.2019 – 11 Verg 4/19). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Bieter die Angebotsbearbeitung lediglich kalkulationsbezogen vornimmt (OLG Naumburg, Urt. v. 18.08.2017 – 7 U 17/17, Rn. 42; OLG Celle, Urt. v. 31.01.2017 – 14 U 200/15). 

Selbst ein sorgfältiger Bieter muss daher in der Angebotsphase nicht sämtliche Vorgaben der Ausschreibung planerisch und technisch nachvollziehen. Eine Pflicht des Unternehmers, vor Abgabe seines Angebotes auf Unklarheiten oder Lücken hinzuweisen, besteht – trotz häufig von Auftraggebern vertretener gegenteiliger Meinung - nicht. 

Die Prüf- und Hinweispflicht nach § 4 Abs. 3 VOB/B besteht erst nach Vertragsschluss. Auch auf die Vertragsauslegung hat es keinen Einfluss, dass der Bieter vor Angebotsabgabe bestimmte Unklarheiten oder Lücken nicht aufgeklärt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf der Bieter die öffentliche Ausschreibung als VOB/A-gerecht verstehen, sofern es bei einer nicht eindeutigen Leistungsbeschreibung mehrere Auslegungsmöglichkeiten gibt (BGH, Urt. v. 09.01.1997 – VII ZR 259/95). Danach darf der Bieter davon ausgehen, dass die Leistung eindeutig und erschöpfend beschrieben ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) und ihm kein ungewöhnliches Wagnis aufbürdet (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A).
Unklarheiten oder Lücken in der Leistungsbeschreibung vor Abgabe seines Angebots durch eine Bieteranfrage aufzuklären, liegt danach ausschließlich im eigenen Interesse des Bieters.