News

StaatsSebastian Staats
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Vergaberecht
Telefon: +49 (0) 531 28 20-312
Telefax: +49 (0) 531 28 20-325
staats@appelhagen.de

Dauerbrenner: Ausschreibungspflicht bei Gebäudeanmietung durch öffentliche Auftraggeber?

Vergaberecht - 14.06.2021

Ein Dauerbrenner in der Diskussion über öffentliche Beschaffungen ist die Abgrenzung zwischen ausschreibungspflichtigem Bauauftrag und vergabefreiem Mietvertrag. 

Die bloße Bezeichnung als Mietvertrag ist unerheblich für die Frage, ob ein nicht-ausschreibungspflichtiges Immobiliengeschäft oder aber ein vergabegebundener Bauauftrag („Bestell-Immobilie“) vorliegen. Wünsche und Anforderungen von Mietern geraten dabei zwangsläufig in einen vergaberechtlichen Abgrenzungskonflikt zu den Wesensmerkmalen eines öffentlichen Bauauftrages. Insbesondere dann, wenn das Mietobjekt noch nicht errichtet ist, stellt sich die Frage, in welchem Umfang der künftige Mieter Einfluss auf die Gestaltung des noch zu errichtenden Gebäudes nehmen darf, ohne dabei die rote Linie zum Vergaberecht zu überschreiten.

Der EuGH (Urt. v. 22.04.2021 – C-537/19 – Wiener Wohnen) hat nun die öffentlichen Auftraggeber gestärkt: 

Öffentliche Auftraggeber würden ein geplantes Gebäude im Sinne eines vergabepflichtigen Bauauftrages nur dann entscheidend mitgestalten, wenn sie die architektonische Gebäudestruktur (Größe, Außenwände und tragende Wände) beeinflussen. Die Gebäudeaufteilung dagegen sei (regelmäßig) kein besonderes Merkmal, was für die Annahme eines Bauauftrags spricht. Auch eine fehlende Baugenehmigung ist nach der EuGH-Entscheidung kein besonderer Hinweis auf die Annahme einer Vergabepflicht, sondern bei Abschluss von Mietverträgen bei Großbauvorhaben gängige Geschäftspraxis. Der Abschluss eines langfristigen Mietvertrages sei unabhängig von den im Einzelfall gegebenen Umständen ebenfalls nicht unüblich: Die Vertragslaufzeit alleine belegt noch keinen öffentlichen Bauauftrag. Keineswegs ungewöhnlich sind nach Auffassung des EuGH auch baubegleitende Kontrollen durch einen Mieter, der den Einzug in die Räumlichkeiten zum vorgesehenen Zeitpunkt sicherstellen will: Durch eine solche begleitende Kontrolle hat ein Mieter keinen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Bürokomplexes.

Die wirtschaftliche Bedeutung von Immobiliengeschäften ist enorm. Deshalb wird mit weiteren Vertragsverletzungsklagen zu rechnen sein. Alle einschlägigen Urteile, wie Köln Messe (Urt. v. 29.10.2009 C-536/07), Helmut Müller (Urt. v. 25.03.2010 C-451/08), Impresa Pizzarotti (Urt. v. 10.07.2014 C-213/13) und nun auch Wiener Wohnen zeigen, welche Bedeutung den Umständen des Einzelfalls bei der vergaberechtlichen Bewertung zukommt und welche juristischen Unwägbarkeiten bei der Abgrenzung von vergabefreien Immobilienbedarfsgeschäften und ausschreibungspflichtigen Bauaufträgen bestehen. Dies wird nicht zuletzt durch die gegensätzliche Rechtseinschätzung der Generalanwaltschaft bestätigt. Sie hat - anders als der EuGH - einen öffentlichen Bauauftrag angenommen (Schlussanträge v. 22.10.2020, Rdnr. 103). Öffentliche Auftraggeber sind daher auch in Zukunft gut beraten, vor allem Vergabeausnahmen kritisch und unvoreingenommen zu beurteilen.