Karin Kutz
Steuerberaterin und Wirtschaftsmediatorin
Fachberaterin für
Internationales Steuerrecht
Fachberaterin für
Unternehmensnachfolge (DStV e.V.)
Fachberaterin für
Gemeinnützigkeit (IFU GmbH)
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kutzappelhagen.de
Hintergrund: Am 01.07.2021 ist das Mehrwertsteuer-Digitalpaket in Kraft getreten. Es sieht weitreichende Änderungen für Unternehmen des Online- und Versandhandels vor. Im europaweiten Handel entfallen die bisher unterschiedlichen nationalen Lieferschwellen. Stattdessen wird eine einheitliche Lieferschwelle von 10.000,00 € etabliert. Dazu tritt mit dem „One-Stop-Shop“ (OSS) über das Bundeszentralamt für Steuern ein neues Meldeverfahren, das die Umsatzsteuervoranmeldungen für den grenzüberschreitenden, europaweiten Fernverkauf in einer einzigen Meldung bündelt.
Irrtum Nummer 1:
„Ich bin von der Änderung nicht betroffen, ich versende in kein Land Waren im Wert von mehr als 10.000,00 € im Jahr.“
Das stimmt so – leider – nicht. Der neue Schwellenwert von 10.000,00 € gilt nicht mehr länderbezogen, sondern für den europaweiten Versandhandel insgesamt. Für die neuen Regeln zum innergemeinschaftlichen Fernverkauf ist auch nicht entscheidend, ob der Vertragsabschluss online oder vor Ort in einem Geschäft erfolgt. Es kommt allein darauf an, ob Waren im Wert von mehr als 10.000,00 € innerhalb von Europa grenzüberschreitend versendet werden.
Irrtum Nummer 2:
„Umsätze mit deutschem Steuersatz gehören trotzdem in die deutsche Umsatzsteuervoranmeldung.“
Auch das stimmt nicht. Haben Sie sich für das neue OSS-Verfahren entschieden, sind hier alle Umsätze aus grenzüberschreitenden Fernverkäufen innerhalb der EU zu melden. Dies betrifft auch Umsätze aus Warenlieferungen, die aus einem ausländischen Warenlager (z. B. Amazon Pan-EU) in das Inland erfolgen und damit der deutschen Umsatzsteuer unterliegen. Es ist daher erforderlich, auch diese Umsätze seit dem 01.07.2021 in der Buchhaltung getrennt zu erfassen.
Irrtum Nummer 3:
„Wenn ich deutsche Umsatzsteuer zahle, bin ich auf der sicheren Seite. Wenn etwas schiefgeht, kann ich meine Umsatzsteuer ja berichtigen.“
Das funktioniert leider nicht immer. Die umsatzsteuerlichen „Spielregeln“ des Fernverkaufs gelten europaweit und werden auch grenzüberschreitend geprüft. Bei Prüfungen droht im schlimmsten Fall eine echte Doppelbesteuerung. Der ausländische Fiskus macht seinen Steueranspruch, in der Regel mit erheblichen Strafzuschlägen, geltend. Dies kann auch Zeiträume betreffen, die im Inland bereits verjährt sind. Eine Erstattung der deutschen Umsatzsteuer ist aufgrund der Verjährung jedoch nicht mehr möglich.
Ein zusätzliches Problem ergibt sich, wenn für diese Umsätze Rechnungen mit deutscher Umsatzsteuer erstellt wurden. Um eine Erstattung der falsch in Rechnung gestellten, deutschen Umsatzsteuer zu erhalten, ist eine Rechnungsberichtigung erforderlich. Diese muss dem jeweiligen Kunden auch zugehen. Selbst wenn dies im digitalen Zeitalter lösbar ist, erfordert es doch einen erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten.
Bei einer Teilnahme am OSS-Verfahren besteht nach der Unionsregelung zum Fernverkauf für den Lieferanten keine Verpflichtung eine Rechnung auszustellen. Formale Fehler, die umsatzsteuerlich teuer werden können, werden dadurch vermieden. Dies ist ein großer, nicht zu unterschätzender Vorteil des OSS-Verfahrens.
Dagegen muss eine Rechnung ausgestellt werden, wenn die neue Unionsregelung nicht genutzt wird. Diese muss nicht nur die jeweils zutreffenden, nationalen Umsatzsteuersätze enthalten. Daneben sind auch alle ausländischen Formvorschriften zur Erstellung einer Rechnung zu beachten, was sich in der Praxis als sehr schwierig erweist.