Karin Kutz
Steuerberaterin und Wirtschaftsmediatorin
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Sagt Ihnen der 90% Test etwas? Er ist Voraussetzung dafür, dass eine Unternehmensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge oder im Erbfall weitestgehend von der Erbschaft- und Schenkungsteuer freigestellt wird. Dabei darf das im Betriebsvermögen enthaltene Verwaltungsvermögen im Verhältnis zum Wert des gesamten Betriebsvermögens nicht mehr als 90% betragen. Fatal ist, dass auch Finanzmittel, insbesondere laufende Zahlungsmittel und Kundenforderungen, zum Verwaltungsvermögen zählen. Erschwerend kommt hinzu, dass Schulden unberücksichtigt bleiben und dieser Test eine Fallbeilwirkung hat. Wird er nicht bestanden, geht die steuerliche Verschonung für Betriebsvermögen insgesamt verloren.
Das Finanzgericht Münster hat unter Az 3 K 2174/19 Erb über folgenden Fall entschieden:
2017 wurden alle Anteile an einer GmbH, die Arzneimittel und Medizinprodukte vertreibt und forschend tätig ist, an die nächste Unternehmergeneration verschenkt. Der Wert der GmbH Anteile wurde durch das Finanzamt mit 555.975 € festgestellt, die Summe der (positiven) Finanzmittel betrug 2.577.649 €, der Wert Schulden 3.138.504 €. Ohne Berücksichtigung der Schulden ergab sich eine rechnerische Quote des Verwaltungsvermögens von mehr als 450% des übertragenen Vermögens, daher wurden alle steuerlichen Vergünstigungen für Betriebsvermögen durch die Finanzverwaltung versagt und eine Schenkungsteuer von mehr als 50.000 € festgesetzt.
Das Finanzgericht ist jedoch der Auffassung, dass der 90% Test dann nicht zur Anwendung kommt, wenn der Hauptzweck der Kapitalgesellschaft, deren Anteile übertragen werden, in einer originär gewerblichen Tätigkeit besteht. Denn durch die bereits an sich gewerbliche Tätigkeit der Gesellschaft wird ein Missbrauch der steuerlichen Begünstigungen von Betriebsvermögen ausgeschlossen.
Insbesondere für Unternehmen, die über einen hohen Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen aus ihrer Geschäftstätigkeit verfügen, kann diese Entscheidung große Bedeutung haben. Nach der, aus unserer Sicht zutreffenden, Ansicht des Finanzgerichtes Münster werden durch eine uneingeschränkte Anwendung dieser gesetzlichen Regelung Anreize gesetzt, wodurch Unternehmen gegen ihr gewachsenes und übliches Geschäftsmodell auf betriebswirtschaftlich nicht sinnvolle Vorgehensweisen ausweichen, um den 90% Test zu bestehen.
Die Coronakrise hat gezeigt, wie (über)lebenswichtig eine gesunde Eigenkapitalausstattung für alle Unternehmen ist. Die bisher bestehende Regelung bestraft jedoch alle Unternehmer:innen besonders hart, die ihre in der Vergangenheit erzielten (und besteuerten) Gewinne zu Gunsten der Liquidität in ihren Unternehmen belassen und nicht für den privaten Verbrauch abgezogen haben.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen und ist jetzt unter dem Az. II R 49/21 beim Bundesfinanzhof anhängig. Die Entscheidung des BFH bleibt daher mit Spannung abzuwarten.