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GulichDr. Joachim Gulich LL.M.
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Ist die Gesamtvergabe jetzt endgültig gestorben?

Vergaberecht - 06.06.2024

(VK Bund, Beschluss vom 29.02.2024 VK 2-17/24)

Die Auftraggeberin wollte kraft Bündelung einer Vielzahl von Bauarbeiten / Gewerken in einem Gesamtauftrag einen Autobahnabschnitt erneuern. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 weist diesen Abschnitt mit der Dringlichkeitsstufe „Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung“ aus.

Die Auftraggeberin sah in ihrer europaweiten Ausschreibung von einer Aufteilung in Fachlose (Verkehrssicherung, Markierungsarbeiten, passive Schutzeinrichtungen) ab. Sie wollte Synergieeffekte erzielen und die Bauzeit so gering wie möglich halten. Sie begründete die Gesamtvergabe im Vergabevermerk:

  • Verkürzung der Bauzeit bei Anwendung des Verfügbarkeitskostenmodells,
  • Partizipation der Fachlos-Auftragnehmer an einer möglichen Beschleunigungsvergütung des Generalunternehmers,
  • Höhere Wirtschaftlichkeit in der Beschaffung,
  • Deutliche Verringerung von Sicherheitsrisiken (Unfälle in Baustellen),
  • Vermeidung von Kompatibilitätsproblemen,
  • Zu erwartender erheblicher volkswirtschaftlicher Nutzen einer Bauzeitverkürzung (Energieeinsparung, Emissionsreduzierung).

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag eines Unternehmers, der Verkehrssicherung anbietet, zurückgewiesen. Grundsätzlich seien (im Interesse des Mittelstandsschutzes) Fachlose zu bilden (§ 97 Abs. 4 S. 2 GWB). Dennoch gestatte § 97 Abs. 4 S. 3 GWB im Einzelfall die Gesamtvergabe. Die Auftraggeberin habe insbesondere die Gründe einer erhöhten Unfallgefahr im Baustellenbereich, volkswirtschaftliche Nachteile infolge von Zeitverlust durch Staugeschehen, ökologische Nachteile durch vermehrte staubedingte Emissionen sowie die Notwendigkeit von (vorübergehenden) Sperrungen von Anschlussstellen angeführt. Diese Gründe rechtfertigten eine Ausnahme vom Grundsatz der Fachlosvergabe.

Die Auftraggeberin hatte bewusst verwaltungsinterne Eigeninteressen (Entfallen von Koordinierungsaufwand, Gewährleistungsschnittstellen, Behinderungsrisiko, also alle jene Aspekte, die für jeden privaten Investor entscheidend sind) nicht angeführt. Aus gutem Grund. Die Vergabekammer hat erneut unterstrichen, dass diese „Lästigkeiten“ kein Grund zum Schlachten der heiligen Kuh des Mittelstandsschutzes durch Generalunternehmervergabe sind.

Für die Praxis war damit die in jüngeren Jahren zu beobachtende Vielzahl von Gesamtvergaben öffentlicher Auftraggeber vergaberechtlich nicht zu rechtfertigen. In Zeiten boomender Baukonjunktur mit vollen Auftragsbüchern hat der Markt kaum gerügt. Mit Investitionen im Sinkflug wird sich das ändern, so dass öffentliche Auftraggeber Gesamtvergaben (leider) kaum mehr wagen werden.