Ulrich Conrady
Rechtsanwalt
Fachanwalt für
Arbeitsrecht
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Erhebt der Arbeitnehmer nach einer verhaltensbedingten Kündigung eine Kündigungsschutzklage, ist der Arbeitgeber in der Pflicht. Er muss die Tatsachen darlegen, die ihn zur Kündigung berechtigen. Und da diese vom Arbeitnehmer regelmäßig bestritten werden, muss er sie auch beweisen.
Der Arbeitgeber wähnt sich besonders dann prozess-siegesgewiss, wenn er nicht nur über eine häufig „wackelige“ Zeugenaussage, sondern über „objektive“ Beweismittel verfügt, etwa eine Urkunde, ein Foto oder gar eine Videoaufnahme. Häufig genug muss sich der Arbeitgeber jedoch später vom Arbeitsgericht anhören, dass das Beweismittel nicht verwertet werden darf, weil dieses einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Darüber hinaus dürfe auch der Sachvortrag des Arbeitgebers nicht berücksichtigt werden, den er nur aufgrund des nicht verwertbaren Beweismittels in den Prozess einführen konnte. Hier läge ein Sachvortragsverbot vor.
Die Zivilprozessordnung findet auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung. Sie kennt weder ein Beweisverwertungs- noch ein Sachvortragsverbot. Die Gerichte leiten diese Verbote jedoch aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ab. Das Beweismittel ist ein personenbezogenes Datum des Arbeitnehmers. Hat der Arbeitgeber dieses unter Verstoß gegen die (strengen) Regeln des Datenschutzes (DSGVO, BDSG) gewonnen, so kann dessen Verwertung im Prozess durch das Gericht einen eigenständigen Grundrechtsverstoß darstellen. Das Gericht muss dann von der Verwertung absehen.
Die Grenzziehung zwischen „noch verwertbar“ und „nicht mehr verwertbar“ war und ist bis heute unklar. Sicher ist nur, dass Beweismittel, die der Arbeitgeber datenschutzrechtlich zulässig gewonnen hat, keinem der vorstehenden Verbote unterliegen. Sicher war auch, dass nicht jeder Verstoß gegen den Datenschutz zu einem Verbot führt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer viel beachteten Entscheidung (Urteil vom 29.06.2023, 2 AZR 296/22) nunmehr die Grenze deutlich zugunsten der Arbeitgeber verschoben.
Im konkreten Fall hatte sich ein Arbeitnehmer für eine Sonderschicht an einem Samstag gemeldet. Am besagten Tag stempelt sich der Arbeitnehmer zu Beginn der Sonderschicht in das Zeiterfassungssystem des Arbeitgebers ein. Der Arbeitgeber hatte jedoch den Verdacht, dass der Arbeitnehmer diese Sonderschicht nicht gearbeitet, sondern das Betriebsgelände alsbald nach dem Einstempeln wieder verlassen hatte.
Der Arbeitgeber konnte diesen Pflichtverstoß (nur) mit den Bildern aus einer offenen Videoüberwachung am Werkstor nachweisen. Der Arbeitnehmer wandte ein, dass diese Aufnahme nicht verwertet werden dürfe. Denn der Arbeitgeber und der Betriebsrat hatten über diese Videoüberwachung eine Betriebsvereinbarung geschlossen. Als Zweck der Videoüberwachung war nur der Schutz vor dem unbefugten Betreten des Werksgeländes durch betriebsfremde Personen und der Schutz des Eigentums des Arbeitgebers vor Diebstahl vereinbart, nicht aber die Überwachung der Einhaltung von Arbeitszeiten. Außerdem hatte sich der Arbeitgeber verpflichtet, die Aufnahmen innerhalb kürzerer Zeit zu löschen; diese Frist war im konkreten Fall weit verstrichen.
Anders als die Vorinstanz (LAG Niedersachsen) hat das BAG die Videoaufnahmen als Beweismittel zugelassen. Es hat klargestellt, dass Aufnahmen aus einer offenen (= nicht geheimen) Videoüberwachung zum Nachweis einer vorsätzlichen Pflichtverletzung („Arbeitszeitbetrug“) im vorliegenden Fall verwertbar seien.
Entscheidend hat das BAG weiter festgestellt, dass mögliche Verstöße des Arbeitgebers gegen die Beschränkungen in der Betriebsvereinbarung per se unbeachtlich seien, weil die Betriebsparteien (Arbeitgeber und Betriebsrat) die Verwertbarkeit von Beweismitteln nicht beschränken können. Strengere Regeln als das Gesetz (die Zivilprozessordnung) könnten sie nicht wirksam aufstellen. Die Aussagen des BAG haben grundsätzliche Bedeutung. Denn in vielen Betriebsvereinbarungen finden sich Beschränkungen hinsichtlich des Umgangs mit personenbezogenen Daten. Sehr häufig enthalten sie eine „Generalklausel“, wonach eine „Leistungs- und/ oder Verhaltenskontrolle“ mit Hilfe der erhobenen personenbezogenen Daten ausgeschlossen sein soll.
Das BAG hat nunmehr in aller wünschenswerten Deutlichkeit klargestellt, dass solche Beschränkungen in Betriebsvereinbarungen eine Verwertung der personenbezogenen Daten durch den Arbeitgeber im Prozess nicht hindern. Jedenfalls dann nicht, wenn es um den Nachweis einer vorsätzlichen Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers geht.