Dr. Joachim Gulich LL.M.
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VK Südbayern, Beschluss 14.02.2022 – 3194.Z3-3_01-21-44
§ 8a EU VOB/A verbietet öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich, von der VOB/B abweichende Bedingungen für den Bauvertrag vorzugeben. Trotzdem sahen die Vergabeunterlagen eines öffentlichen Auftraggebers zahlreiche erhebliche Abweichungen von der VOB/B vor. Der Katalog des Grauens umfasste den Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C, das Recht des Auftraggebers zur Selbstvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB /B, die Berechtigung des Auftraggebers, neue Vertragsfristen nach billigem Ermessen festzulegen, die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Behinderungsanzeige selbst bei Offenkundigkeit, die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate, den Ausschluss von § 7 und 12 Abs. 6 VOB /B und den Ausschluss von Teilabnahme und fiktiver Abnahme.
Ein Bieter rügte die Vertragsbestimmungen und reichte nach Nichtabhilfe Nachprüfungsantrag ein, ohne ein Angebot abgegeben zu haben. Er behauptet, durch die VOB/A-widrigen Vertragsbedingungen daran gehindert worden zu sein.
Sein Nachprüfungsantrag hatte Erfolg. Die Vorschrift des § 8a EU VOB/A sei bieterschützend. Sie treffe primär Regelungen für die spätere Phase der Auftragsdurchführung, die hohe Relevanz für die Kalkulation der Bieter im Vergabeverfahren haben. Die Vorschrift solle sicherstellen, dass die VOB/B als Ganzes Anwendung findet, so dass eine gesonderte Inhaltskontrolle der einzelnen Regelungen der VOB/B nach §§ 307 ff. BGB nicht stattfindet. Bieter haben ein Interesse, unabhängig von Unsicherheiten über die Geltung der Regelungen der VOB/B und der Frage der Inhaltskontrolle von AGB ihr Angebot kalkulieren zu können. Von jedem Auftraggeber selbst zusammengestellte Bauverträge müssten von den Bietern im Einzelfall aufwändig kalkulatorisch bewertet werden.
Diese bevormundende Rechtsprechung verhindert zeitgemäße Vertragsmodelle (Generalübernehmer, PPP-Modelle, Cost-Plus-Verträge). Sie versperrt zugleich Innovation, indem sie Auftraggeber starr an das Muster der VOB/B bindet, anstelle mit individuell zugeschnittenen Vertragsbestandteilen aktuelle Vertragsziele (z. B. Effizienz, Nachhaltigkeit etc.) verfolgen zu können. Die Praxis hofft weiter auf die seit vielen Jahren diskutierte grundlegende Modernisierung des Vergaberechts!