Ulrich Conrady
Rechtsanwalt
Fachanwalt für
Arbeitsrecht
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Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist streng. Das betrifft sowohl die für die Arbeit/Arbeitszeit gesetzten Grenzen, als auch die Sanktionen, die einen „sündigen“ Arbeitgeber treffen, wenn dieser von der Aufsichtsbehörde „ertappt“ wird.
Eine in der Praxis wichtige bzw. für eine moderne Gestaltung der Arbeitszeit „hinderliche“ Grenze ist die tägliche Ruhezeit von (mindestens) 11 Stunden (§ 3 ArbZG). Diese Ruhezeit meint die Zeitspanne zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der Arbeit am nächsten Arbeitstag. Das „Hinderliche“ an der täglichen Ruhepause ist der Umstand, dass diese ununterbrochen sein muss.
Beispiel:
Ein Arbeitnehmer arbeitet bis 16.00 Uhr und begibt sich „in den Feierabend“. Nachdem er seine Kinder ins Bett gebracht und die Abendnachrichten gesehen hat, bereitet er, um ruhig schlafen zu können, zwischen 21.45 Uhr und 22.00 Uhr noch die für 8.00 Uhr am Folgetag angesetzte Dienstbesprechung vor.
Nach dem ArbZG dürfte er an eben dieser Dienstbesprechung nicht mehr teilnehmen. Denn die tägliche Ruhezeit, die um 16.00 Uhr begonnen hatte, hat er um 21.45 Uhr unterbrochen. Die neue elfstündige Ruhezeit, die nach der Vorbereitung der Dienstbesprechung um 22.00 Uhr begann, endet erst um 9.00 Uhr des Folgetags.
Ein Arbeitnehmer kann, pointiert formuliert, nach dem ArbZG an einer solchen Dienstbesprechung nur unvorbereitet und nach einer ggfs. deshalb unruhigen Nacht teilnehmen.
Diese arbeitszeitrechtlichen „Fesseln“ sind jedenfalls bei „Bagatellunterbrechungen“ der täglichen Ruhezeit lebensfern. Es muss die Möglichkeit bestehen, legal um 22.00 Uhr noch einmal kurz seine dienstlichen Emails zu checken, vielleicht eine vergessene dienstliche Nachricht zu verschicken oder ein paar Notizen zu fertigen für den nächsten Arbeitstag, ohne im Anschluss für eine Zeitspanne von 11 Stunden an legaler Arbeitsleistung gehindert zu sein.
Der Bundesgesetzgeber kann das ArbZG nicht einfach selbst modernisieren; die tägliche ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden ist durch eine europäische Richtlinie (Art. 3 der sogenannten Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/ EG) vorgegeben. Und Europa denkt derzeit über eine entsprechende Reform der Arbeitszeitrichtlinie nicht nach.
Die Praxis behilft sich mit einem „Kartell des Schweigens“ dergestalt, dass
Ausnahmen von diesem Stillhalteabkommen gibt es. In der Regel jedoch nur im Fehlen des ersten Spiegelpunktes…
Eine Unterbrechung der Ruhezeit liegt immer dann vor, wenn Arbeit geleistet wird. Schädlich sind somit auch kurze Unterbrechungen. Die Auffassung, dass nur sehr kurze Arbeiten (z B. 1 Minute Checken der dienstlichen Email-Eingänge) keine Unterbrechung der täglichen Ruhezeit sei, ist nur eine (sympathische) Mindermeinung; es gibt aber nach geltendem Recht keine Bagatellgrenze.
Keine Unterbrechung dürfte hingegen bei einer verbotswidrigen, heimlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vorliegen. Spricht der Arbeitgeber ernsthaft ein „Spät-Abend-Arbeiten-Verbot“ aus und arbeitet der Arbeitnehmer gleichwohl (gewissermaßen mit Taschenlampe unter der Bettdecke), dürfte eine solche verbotene und aufgedrängte Arbeitsleistung keine Unterbrechung der Ruhezeit bedeuten, weil Arbeit und Arbeitsleistung im Sinne des ArbZG nur die weisungsgemäß erbrachte, zumindest aber vom Arbeitgeber geduldet ist.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22) hat jüngst noch einen weiteren Lösungsansatz entwickelt, indem es bestimmten „Bagatell-Informationen“ des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer und bestimmten „Bagatell-Mitwirkungsverhandlungen“ des Arbeitnehmers nicht als Arbeitsleistung (Hauptleistungspflicht) ansieht, sondern als bloße leistungssichernde Nebenpflichten unterhalb der Arbeitsschwelle.
Konkret ging es um Folgendes: Der beklagte Arbeitgeber betreibt einen Rettungsdienst, der Kläger ist als Rettungssanitäter bei ihm tätig. Die Betriebsvereinbarung zur Dienstplangestaltung sah vor, dass der Arbeitgeber den genauen Beginn bestimmter Springerdienste sehr kurzfristig mitteilen konnte. In dem Rechtsstreit ging es primär um die Frage, ob ein Arbeitnehmer in der Freizeit eine solche den Dienstbeginn konkretisierende Weisung überhaupt zur Kenntnis nehmen müsse. Dies hat das BAG bejaht, weil es sich bei der Kenntnisnahme dieser Weisung um keine Arbeitsleistung gehandelt habe, sondern lediglich um eine leistungssichernde Nebenpflicht.
Die Entscheidung des BAG stellt klar, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Ruhezeit in engen Grenzen kommunizieren, z. B. die Arbeit am Folgetag abstimmen können, ohne dass hierdurch die Ruhezeit zwingend unterbrochen wird. Das Grenzland zwischen der Erfüllung einer ruhezeitunschädlichen, lediglich leistungssichernden Nebenpflicht und einer die Ruhezeit unterbrechenden Arbeitsleistung ist vorsichtig zu bewandern. Die leistungssichernde Nebenpflicht ist eine seltene Ausnahme, die sich auf die bloße kurze Zeit in Anspruch nehmende Mitteilung/Wahrnehmung von Informationen beschränken dürfte, die ein Arbeitnehmer benötigt, um die eigentliche Arbeit am nächsten Tag aufnehmen zu können.
Im Übrigen regiert weiter das Kartell des Schweigens.