Dr. Steffen Ullrich
Rechtsanwalt
Fachanwalt für
Medizinrecht
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Das Bundessozialgericht nimmt die Voraussetzungen zum Zugang neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus ins Visier. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich die Frage als „Dauerbrenner“ erwiesen, unter welchen Voraussetzungen Versicherte Zugang zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden haben und wer die Behandlung bezahlt. Über den richtigen Umgang wird seit Jahren gestritten. Auf der einen Seite steht die auf Patientensicherheit ausgerichtete restriktive Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und auf der anderen Seite das Streben des Gesetzgebers, den Versicherten einen schnellen Zugang zu innovativer Medizin zu eröffnen.
Mit der nunmehr veröffentlichten Entscheidung hat das BSG (AZ 11 AL 5/20 R) die bisherige, auf absoluten Patientenschutz ausgerichtete Rechtsprechung in Teilen korrigiert bzw. partiell aufgegeben. Wer glaubt, dass damit alle Probleme gelöst sind, der irrt. Die Entscheidung ändert nichts an der eher restriktiven Grundauslegung.
Das BSG hat in seiner Entscheidung nämlich zwei zusätzliche (ungeschriebene) Anspruchsvoraussetzungen für die Behandlung von innovativen Potentialleistungen kreiert. Ein Anspruch auf Neulandmedizin nach § 137 c Abs. 3 SGB V soll danach neben dem Vorhandensein eines Erfolgspotentials der Methode zusätzlich eine schwerwiegende Erkrankung und die fehlende Verfügbarkeit einer Standardtherapie voraussetzen. Diese ungeschriebenen Merkmale sollen zumindest bis zum Erlass einer Erprobungsrichtlinie durch den gemeinsamen Bundesausschuss gelten.
Durch das Hinzutreten der ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen rückt der Anspruch innovativer Neulandmedizin im Krankenhausbereich nach der neuen Lesart des BSG nahe an die verfassungsrechtlich begründeten „Nikolaus-Fälle“ heran, mit denen der Zugang zu (noch) nicht zugelassenen Medikamenten gerechtfertigt wurde.
Mit der jüngsten Entscheidung akzeptiert die Rechtsprechung zwar, dass dem Versicherten ein vom allgemeinen Qualitätsgebot abweichender Anspruch auf Krankenbehandlung eingeräumt wird, für den mit dem „Potentialmaßstab“ ein abgesenktes Qualitätsgebot gilt. Durch die textliche Anreicherung zusätzlicher ungeschriebener Voraussetzungen muss es aber zwangsläufig zu Abgrenzungsproblemen hinsichtlich der unbestimmten Begriffe „schwerwiegende Erkrankung“ und „fehlende Verfügbarkeit einer Standardtherapie“ kommen. Diese Unsicherheit bleibt zumindest bis zu einer Klarstellung durch den Gesetzgeber!
Für die Versicherten bleibt daher bis auf weiteres nur die vage Hoffnung eines schnelleren Zugangs zu innovativer Neulandmedizin im Krankenhausbereich.