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ChabasKatarzyna Chabas
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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Seit einem Jahr die gleiche Frage und noch immer keine rechtsverbindliche Antwort ...

Mietrecht - 20.04.2021

Bleiben Mieter auch bei coronabedingten Schließungsanordnungen zur Zahlung der (vollen) Miete verpflichtet?

Seit über einem Jahr befassen sich zahlreiche Juristen, Rechtsanwälte und Gerichte mit der Frage, ob Mieter von Gewerbeimmobilien auch dann zur Zahlung der (vollen) vereinbarten Miete verpflichtet bleiben, wenn sie von staatlich angeordneten Schließungen betroffen sind. 

Überwiegende Einigkeit besteht noch darüber, dass in den behördlichen Schließungsanordnungen kein Mangel der Mietsache zu sehen sei. Hierzu haben wir bereits in unserem Beitrag aus Januar 2021 berichtet.

Umstritten ist die Frage, ob und in welchem Umfang Mietern ein Recht zur Anpassung des Vertrages zusteht. Mit Einführung des Art. 240 § 7 EGBGB hat der Gesetzgeber eine Grundlage für die Annahme geschaffen, dass staatlich angeordnete Schließungen einen Umstand i.S.d. § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) darstellen können. Nach § 313 BGB kommt eine Vertrags-
anpassung u.a. dann in Betracht, wenn einem der Vertragsteile das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Welche Rechtsfolgen Vermieter und Mieter aus dieser Regelung ableiten können, bleibt trotzdem unklar.

Nachdem zahlreiche Gewerbemieter unter Berufung auf die anhaltende Pandemie und damit einhergehende Ein- und Beschränkungen ihre Mietzahlungen teilweise oder vollständig eingestellt haben, erhoben Vermieter bereits im Zuge des ersten Lockdowns auf Zahlung der vollständigen Mieten gerichtete Klagen. Die ergangenen Urteile fielen dabei uneinheitlich aus.

Während bspw. die Landgerichte Frankfurt am Main (2-15 O 23/20), Stuttgart (11 O 215/20), Wiesbaden (9 O 852/20) und München II (13 O 1657/20) ein Anpassungsrecht verneint haben, weil die Schließungsanordnungen keine existenziell bedeutsamen Folgen bei den betroffenen Mietern hervorgerufen hätten, bejahten u.a. die Landgerichte Mönchengladbach (12 O 154/20) und München I (34 O 6013/20) ein (temporäres) Mietanpassungsrecht. Die letztgenannten Landgerichte waren der Auffassung, dass behördlich angeordnete Schließungen eine unzumutbare Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebes darstellen und daher eine (temporäre) Anpassung des Mietzinses für die Dauer der Schließungen um 50% erfordern würden.

In drei neueren Entscheidungen aus dem Februar 2021 hatten sich erstmalig Berufungsgerichte mit dieser Thematik zu befassen. Auch hier ist keine einheitliche Rechtsprechung zu erkennen.

Nach Auffassung des OLG Dresden (5 U 1782/20) seien staatlich angeordnete Schließungen eine Störung der großen Geschäftsgrundlage, die eine Anpassung der Miete um pauschal 50% rechtfertigen würde.

Das OLG München verneinte im konkreten Fall einen Anpassungsanspruch des Mieters. Es wies jedoch darauf hin, dass ein solches Recht nicht ausgeschlossen sei und es für die Bewertung der Unzumutbarkeit nach § 313 BGB auf sämtliche Umstände des Einzelfalles ankomme. Welche Rechtsfolge (Stundung, Mietanpassung o.ä.) ein solches Anpassungsrecht nach sich ziehe, ließ das OLG München offen. Eine schematische Betrachtung verbiete sich nach Auffassung des Gerichts. Zu berücksichtigen sei insbesondere die wirtschaftliche Situation beider Parteien, die Umsatzentwicklung des Mieters innerhalb der letzten Jahre, die Dauer des Mietverhältnisses, aber auch Kompensationsmöglichkeiten durch z. B. Kurzarbeit, staatliche und sonstige Beihilfen etc. 

Einer ähnlichen Auffassung war auch das OLG Karlsruhe (7 U 109/20). Danach sei dem Mieter die Zahlung der vollen Miete nur unzumutbar, wenn seine Existenz bedroht oder das wirtschaftliche Fortkommen mindestens schwerwiegend beeinträchtigt sei und die Interessenlage des Vermieters eine Anpassung erlauben würde.

Dogmatisch gesehen dürfte die Auffassung der Oberlandesgerichte München und Karlsruhe zutreffend sein. Die Frage nach einer möglichen Vertragsanpassung bedarf demnach stets der Bewertung aller Umstände und erfordert mindestens die Offenlegung der Umsätze und Gewinne des betreffenden, aber auch der der vorhergehenden Zeiträume. 

Dennoch bleibt abzuwarten, welche Position der Bundesgerichtshof in dieser interessanten Frage einnehmen wird!